Als Erster die berühmt-berüchtigte Eiger Nordwand zu bezwingen – davon träumen im Sommer 1936 Bergsteiger aus ganz Europa. Auch die Berchtesgadener Kletter-Asse Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas) werden von der “Mordwand” magisch angezogen. Denn die Erstbesteigung würde nicht nur den sozialen Aufstieg bedeuten, sondern auch olympisches Gold einbringen…
Kritik
Man bekommt tatsächlich im 21. Jahrhundert einen Bergsteigerfilm vorgesetzt?
Und dann noch einen deutschen, der im dritten Reich spielt?
Nein. Leni Riefenstahl ist nicht wieder auferstanden (oder vielleicht doch).
Regie führt Philipp Stölzl, der nach einem Kurzfilm und seinem Filmdebut Baby weit ausholt und seinen zweiten Spielfilm inszeniert. Es ist (immer noch) ein Wagnis, in der heutigen Zeit einen solchen Film zu drehen. Die großen Hollywoodstudios setzen auf “einfache” Filme, die gut Kasse bringen: Special Effects, viel Action/Blut, stringente Handlung. Das lockt die Zuschauer.
Der deutsche Film hingegen muss sich mit weniger Budget begnügen, besitzt aber durchaus das Potenzial, sich mit den Produktionen der anderen Seite des großen Teiches zu messen. Zwar auf eine filmtechnisch andere Art, aber vielleicht ist genau das die Stärke: Minimalismus, der in Einfallsreichtum und Kreativität aufgeht. “Nordwand” reiht sich in die rar gesäten (guten) Bergsteigerfilme wie Vertical Limit, Cliffhanger, Im Auftrag des Drachen, Sieben Jahre in Tibet, K2 und (vielleicht noch um einen Klassiker zu nennen) Der Berg ruft! ein. Aber was dem Genre schon immer anlastete war die Story. Denn was soll man großartig Neues erfinden? Im Blickpunkt steht fast immer die Bezwingung eines Berges. Drumherum findet entweder eine Rahmenhandlung statt, die den Focus auf die Eroberung lenkt, oder ablenkt und eine andere Geschichte erzählt.
Christoph Silber, Philipp Stölzl, Rupert Henning, Johannes Naber und Benedikt Roeskau schrieben das Drehbuch gemeinsam und entwarfen ein stimmiges Bild. Im Vordergrund steht der heroische Kampf zwischen Mensch und Natur – archetypisch für das Genre. Weitere relevante Handlungsversatzstücke sind die politischen sowie gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu jener Zeit, sowie eine fiktive Liebesgeschichte zwischen Toni Kurz (Benno Fürmann) und Luise Fellner (Johanna Wokalek), die jedoch nur Mittel zum Zweck ist. Objektiv betrachtet unterscheidet sich “Nordwand” rein von der Rahmenhandlung nicht sonderlich von anderen Bergsteigerfilmen. Gleichzeitig spaltet er sich aber von der Machart und der Hintergrundgeschichte um dem Bergsteiger Toni Kurz und seinem Freund Andreas Hinterstoisser ab.
Beim durchlesen des Inhalts entsteht leicht der Eindruck, dass dies mal wieder ein deutscher Film ist, der mit großem Fingerzeig auf die Geschichte hindeutet. Nicht, dass es nicht wichtig wäre, gerade uns Deutsche daran zu erinnern, wer wir sind, was wir getan und welche Lehren wir daraus zu ziehen haben. Aber bitte nicht in jedem Film. Das Bewusstsein über unsere Vergangenheit sollte heute ausreichend vorhanden sein. Erfreulicherweise begeht Stölzl diesen Fehler nicht. Zwar werden hier und da Andeutungen gemacht, nichtsdestoweniger richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Eiger Nordwand, die Vorbereitungen, diese als erste zu bezwingen, sowie schlussendlich die Grenzerfahrung machen zu müssen, im Anblick des Todes die Fassung zu verlieren oder den Verstand einzuschalten und die richtige Entscheidung zu treffen.
Spektakulär, eindrucksvoll und durchaus angelehnt an die Filmsprache von Leni Riefenstahl vereinen Stölzl und Kameramann Kolja Brand Landschaft, Personen und das schier aussichtlose Bemühen voranzukommen zu einem spannungsgeladenen Akt, der in den letzten Jahren im deutschen Kino definitiv gefehlt zu haben scheint. Was dem Film weiterhin interessant macht, sind die Schauspieler:
Benno Fürmann (bekannt aus Anatomie, Die Bubi Scholz Story und Wolfsburg) reißt den Film regelrecht an sich und man nimmt ihm den rauen, wortkargen Bergsteiger, der wenig von Politik hält und einfach sein Leben leben will, ab. Florian Lukas (Good Bye Lenin!, Kammerflimmern) als sein Kompagnon ist genau der Richtige. In Augenblicken, in denen Fürmann eine Pause braucht, springt Lukas in die Bresche und nimmt dessen Part ein. Nicht von hoher Schauspielkunst gekrönt, aber durchaus ansprechend. Als dritte im Bunde ist Johanna Wokalek (Hierankl, Aimée & Jaguar, Der Baader Meinhof Komplex) zu nennen, die durch ihre manchmal aufwühlende, dann auch wieder sensibel herzergreifende Schauspielerei das Gespann komplettiert. Um die Riege zu vervollständigen muss Ulrich Tukur (Das Leben der Anderen, Bonhoeffer, Solaris) erwähnt werden, der wie immer eine gute Figur abgibt. Zwar bleiben die Leistungen etwas hinter den Erwartungen zurück, aber das lässt sich verschmerzen.
Fazit
“Nordwand” ist ein fesselnder Film in großartigen, majestätisch anmutendenden Bildern. Er erzählt von Hingabe, Aufopferung, Mut und Liebe, ohne aber ins kitschige Bergidyll abzugleiten. Ein Bergsteigerfilm, der sich nicht zu verstecken braucht. Philipp Stölzl hat einen eindrucksvollen Genrefilm geschaffen, der bis dato, zumindest im deutschsprachigen Raum, seinesgleichen sucht.
Text © Valis